Allein in einer großen Stadt

Julien Busch, Bäcker

Wenn er in der Backstube steht, den Kneter mit den richtigen Zutaten bestückt, den Teig auf den Tisch hievt und in korrekt eingewogene Portionen einteilt, dann merkt Julien wie körperlich anstrengend seine Arbeit ist, aber auch, dass dadurch “die Zeit wie im Fluge vergeht“. Jetzt noch die Teiglinge gleichzeitig rundwirken, formen und sie zum Ruhen auf die Gare stellen. Dann können sie später in den Backofen geschoben werden.

Volle Konzentration auf die vielen Handgriffe. „Das gefällt mir sehr, dass ich richtig schwitze, wirklich körperlich erledigt bin, und dass ich beim Duschen nach der Arbeit merke: Ich hatte wirklich etwas zu tun.“ Manchmal vergisst Julien Busch dabei die Zeit, sagt er. Nach Schichtende spült er das Mehl ab und der Kopf ist frei. „Das ist ein schönes Gefühl für mich und für den Körper, ich spüre gerne, dass ich etwas gemacht habe.“

Der schönste Aspekt sei aber, so der 26-Jährige, dass „ich mit all meinen Emotionen, mit meiner Energie und wie ich drauf bin, in den Teig reingehe und etwas kreieren kann, was anderen dann hoffentlich auch noch schmeckt.“

So philosophisch kann man den Beruf des Bäckers auch sehen. Julien Busch tut es. Seit 2017 macht er seine Bäckerausbildung.

Dabei hatte er ganz andere Pläne im Leben: Als erster in seiner Familie wollte er nach dem Abitur studieren. Doch das Schicksal schreibt andere Geschichten. Sein durchaus alternatives Lebensumfeld bei der Mutter, seinen Alltag in einem einsamen Waldstück bei Templin verlässt er 17-jährig in Richtung Berlin, weil sein Vater schwer erkrankt ist und dringend Unterstützung benötigt. Das Abitur ist gerade keine Option. Julien Busch steigt in den ökologisch ausgerichteten Bäckerhandwerksbetrieb seines Vaters ein, arbeitet so gut er kann, managt mit anderen Angestellten stellvertretend den Bäckereialltag und verbringt so jede verfügbare Stunde zwischen Kranken- und Pflegestationen und Backstube, später am Sterbebett.

Keine leichte Zeit für einen 20-Jährigen. Anfangs kann er weder Brot riechen noch in eine Bäckerei eintreten. Irgendwann fasst Busch wieder Mut, holt auf der Abendschule in Berlin sein Abitur nach und beginnt Europäisches Management in Frankfurt (Oder) zu studieren. „Meine Idee war, mit dem Abschluss woanders hingehen zu können, vielleicht mal eine Firma führen zu können oder in eine einzusteigen“, sagt Busch. „Ich wollte gerne meine Chancen erweitern, mein Ziel war, größer als nur Berlin zu denken.“ Der Studiengang klang vielversprechend, BWL, Englisch, Volkswirtschaftslehre, was man international braucht, „aber das Studium war viel zu theoretisch und für mein Gefühl zu wenig mit der Hand“, beschreibt Julien Busch seine damaligen Zwiespalte, zumal ihm einer seiner Studienkurse so gar nicht von der Hand ging.

Zwei vergeigte Prüfungen und eine aufreibend, emotionale Runde mit Freunden später steht sein Entschluss fest: Raus aus dem Studium, es fühlt sich falsch an.

Gemeinsam mit der Freundin und dem besten Freund hatte er eine Nacht durchdiskutiert und durchphilosophiert, was ihm im Leben wichtig ist, wofür er brennt und dass das, „was ich gerade mache überhaupt nicht zu mir passt“, sagt der Bäckerlehrling im Rückblick. Sein Studium, das Leben in Berlin und das, wonach er auf der Suche war, fühlten sich wie ein Paralleluniversum an.

Julien Busch erinnert sich noch sehr genau an jenen Frühsommerabend 2017, jener Abend, der ihm Klarheit bringt. Danach geht alles sehr schnell. Er lässt sich an der Europauniversität in Frankfurt (Oder) exmatrikulieren. Im September 2017 beginnt seine Ausbildung zum Bäcker. In die ehemalige Bäckerei seines Vaters in Kreuzberg kann er nicht zurück, „weil es dort keinen Meister gibt, der mich ausbilden kann“. Im Prenzlauer Berg findet er einen alten Bäckermeister „mit einem konventionellen Konzept. Das ist in Ordnung so und funktioniert auch“, sagt Busch. Aber er stellt sich für sich und seinen zukünftigen Weg doch etwas anderes vor und sucht deshalb das Gespräch mit der Berliner Obermeisterin des Bäckerhandwerks, Christa Lutum. Sie reagiert pragmatisch und bietet ihm die Fortsetzung seiner Ausbildung in ihrer Bio- und Dinkelbäckerei in Berlin-Charlottenburg an. Busch greift zu, denn er liebt dieses Metier. Auch wenn viele Menschen Nachteile im Bäckerberuf sehen, so viele gibt es in der Berufspraxis gar nicht.

„Klar, die Bezahlung ist ausbaufähig, aber später als Geselle verdiene ich wirklich nicht schlecht. Und wenn ich noch einen Meister anhänge, habe ich viele Möglichkeiten und Spielräume, auch finanzielle“, ist sich Busch gewiss. Und wie Bäckereibetriebe als Unternehmen in zehn Jahren aussehen, das wird sich erst zeigen. „Bio liegt nicht nur im Trend, sondern wird immer mehr geschätzt.“ Ist er optimistisch.

Die Schichtarbeit fühlt sich von außen betrachtet auch schlimmer an, ist der angehende Bäcker überzeugt. „Es ist kein Problem, dass ich um zwei Uhr aufstehe und loslege. Der Körper stellt sich darauf ein“, sagt der Bäckerlehrling. Er hätte vorab auch nicht gedacht, dass er mit dem Schlafmodus gut klarkommt, denn immerhin gibt es wechselnde Zeiten in der Back- oder der Konditorschicht, die er beide bedienen darf. Und überraschend gesteht er, dass ihm die Brotbackschicht nachts am liebsten sei.

„Man hat das Gefühl, die Stadt gehört einem, man ist der einzige, der Licht angeschaltet hat und munter ist, während alle anderen schlafen.“

Er mag es sehr, allein in der Backstube zu stehen und das Brot für Stadt zu backen.

Dann denkt er vielleicht daran, dass er einen großen Umweg gegangen ist, ehe er bei seinem Traumberuf und seiner Leidenschaft für Brot und Brötchen, Kuchen und Torten landete. Für junge Menschen auf der Suche nach einem erfüllenden Beruf wünscht er sich mehr Gelegenheiten zum Ausprobieren. Übrigens auch für Studierende, ehe sie sich für einen Studiengang entscheiden. „Ich wäre lieber fünf Wochen vor dem Studium mitgelaufen, in verschiedenen Kursen und hätte den Ablauf mitbekommen und mich dann besser entschieden“, ist er sicher. Reinschnuppern. Der Bäcker steckt eben in ihm.

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

In den Glückstopf gefallen

„Ich habe mich nur noch gequält“, sagt Philip Erben sachlich. Der 26-Jährige hatte an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg bereits sechs Semester Maschinenbau und weitere sechs Semester Wirtschafts-Ingenieurwesen studiert, ehe er die Universität verlässt. Ohne Abschluss. „Für mich stand fest: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, sagt Philip Erben, der erneut an einer wichtigen Prüfung scheitert
– eine von drei.
In diesem Studiengang ist für ihn Endstation.

Einen nochmaligen Studienwechsel in ein anderes Fach schließt Philip Erben für sich aus. „Es ging einfach nicht mehr.“ Zwischen Vorlesungen, Seminaren, Laborarbeit und studentischen Jobs für den Lebensunterhalt fühlt er sich aufgerieben. „Nach zwölf Semestern war ich auch nicht mehr der Jüngste. Und ich wusste, dass Prüfungsphasen bei mir nicht so gut laufen.“ Er sehnt ich außerdem nach einem geregelten Tagesrhythmus.

Den hat er als Auszubildender bei ABB. Gegen fünf Uhr klingelt jeden Morgen der Wecker. Pünktlich 6:30 Uhr steht er in seiner Arbeitskleidung im ABB Ausbildungszentrum in Berlin-Pankow. Hier absolviert Erben seit 2015 eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik. „Eigentlich war ich auf der Suche nach einer Mechatroniker-Ausbildung. Mit Mechanik kannte ich mich Dank des Studiums aus.“ Erst als er sich an verschiedenen Stellen um eine Ausbildung bewirbt, ist ihm bewusst, wie viele berufliche Möglichkeiten es gibt, die mit einer Ausbildung erreichbar sind. „Ich hatte mich nie damit auseinandergesetzt.“ Dass es dann die Elektronikerausbildung wurde, ergibt sich beim Bewerbungstest. Philip Erben ist motiviert.

„Und die Fachrichtung stimmt“.

Weshalb er sein Studium abgebrochen hat, ist ihm inzwischen auch klarer. „Ich hatte keine Idee davon, was ich später als Wirtschaftsingenieur machen würde. Ich wusste von allem ein bisschen, aber nichts richtig“, resümiert er. Was er jetzt lernt, ist anwendungsorientiert. Die Ausbildungsmodule sind sehr konkret, fordern seine Vorstellungskraft und sind auf den zukünftigen Arbeitsplatz bzw. Einsatzmöglichkeiten zugeschnitten. Er schwärmt davon, was er als Elektroniker für Automatisierungstechnik alles erreichen könnte.

„Je länger ich hier bin, umso genauer erkenne und kenne ich die Zusammenhänge. Wenn ich mich anstrenge, kann ich später europaweit oder sogar global unterwegs sein, auf Baustellen meines Arbeitgebers riesige Anlagen konfigurieren und programmieren.“ Auch Einsatzmöglichkeiten als Wartungstechniker kann er sich vorstellen oder als Service-Techniker Fehler beheben. „Es ist so viel konkreter als im Studium und ich fühle, dass ich imstande bin, solche Aufgaben zu tun“, sagt er selbstbewusst. Noch ist das Zukunftsmusik, aber ein durchaus erreichbares Ziel.

Er akzeptiert auch die Strenge der Ausbildung, die dafür nötig ist. Gegen Ende seiner Ausbildungszeit darf Philip Erben zwar Wünsche äußern, aber auch sein Arbeitgeber hat Interesse, ihn nach den Erfordernissen des Unternehmens einzusetzen.

„Wir werden ja ausgebildet, weil wir vom Unternehmen auch wirklich gebraucht werden“.

Er ist auf dem richtigen Weg – in die Industrie- und Arbeitsgesellschaft 4.0 – und das gibt ihm ein gutes Gefühl. Auch, dass er in der Ausbildung vielfältige Möglichkeiten hat, zum Beispiel an Azubi-Austausch-Reisen nach Wales oder La Reunion und den dazugehörigen Praktika teilzunehmen. Dafür setzt er sich „auf den Hosenboden“, um die Sprach-Grundkenntnisse aufzufrischen oder erst zu lernen.

Der Studienabbruch ist schon fast vergessen. „Am Ende der Ausbildung ist man Fachkraft und kann etwas“, sagt er stolz. „Ich bin in einen Glückstopf gefallen.“

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Andere Signale, neue Weichenstellungen

Die Situation ist für ihn eine Premiere. Azubi Laurent Rouget steht im Führerstand einer U-Bahn und zückt seine Messinstrumente, prüft, wo Strom anliegt. Die “Gelbe” steht in einer riesigen, etwa 400 Meter langen Halle der BVG in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf unweit vom Olympiastadion. Hier werden U-Bahn-Züge einem technischen Check-up unterzogen, auf Herz und Nieren geprüft. Der 25-Jährige darf unter Aufsicht schon mal eine Probemessung üben. Ernst wird es für ihn dann, wenn er im Rahmen seiner Ausbildung hier richtig durchlaufen wird. Zumindest ist es eine Option, im Rahmen des Betriebsdurchlaufs hier auch irgendwann Station machen zu können.

Dass er überhaupt eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), Deutschlands größtem Nahverkehrsunternehmen, bekommen hat, war so nicht geplant, aber erfüllt ihn wirklich mit Stolz. “BVG ist cool, als öffentlicher Arbeitgeber, die Vielfalt, was man beruflich machen kann”, sagt Laurent Rouget mit Begeisterung in der Stimme, “BVG hat nur Vorteile, wenige Nachteile.”

Zu den Vorteilen zählt er eine klare Struktur, zu wissen, was zu tun ist. “In der Ausbildung bin ich gezwungen, jeden Tag zu kommen, mich zu engagieren und einzubringen. Und das tut mir gut.” Laurent Rouget hat nicht immer so gedacht.

“Ich sehe wirklich, was ich tue und ob ich es kann. Beim Studium habe ich fast nur Theorie gelernt, die war auch wichtig, aber eben nur Theorie, auf dem Papier”.

Mit seinen gerade einmal 25 Jahren hat der angehende Elektroniker für Betriebstechnik schon einige Aus- und Umwege genommen, am Ende dann den Platz an der Universität mit einem Blaumann, Arbeitsschuhen und gelbem Helm getauscht.

Bis zum Abitur läuft für Laurent Rouget alles gut und in geregelten Bahnen. Der Informatikunterricht ist ein Kinderspiel. Doch weil er sich nicht sicher ist, was er wirklich beruflich anstreben will, nimmt er sich erst mal eine Bedenkzeit, macht ein Freiwilliges Soziales Jahr beim DRK. “Weil ich ein Spätzünder bin. Ich hatte echt lange keine Ahnung, was ich wirklich so machen sollte.”

Beim DRK ist der Abiturient für den Hausnotruf tätig, muss Geräte warten oder verkaufen, macht Bereitschaftsdienst, wenn jemand in der Zentrale anklingelt und Hilfe benötigt. Das Technische macht ihm viel Spaß, am Ende des Jahres ist ihm klar: “Das mit dem Verkauf und dem Marketing ist nichts für mich, aber die Geräte reparieren war cool.” Laurent Roget ist pragmatisch. Mit Computern und verschiedensten Anwendungsprogrammen kennt er sich bestens aus. “Videos bearbeiten, Videosequenzen animieren, damit hatte ich mich beschäftigt, das konnte ich.” Für ihn ist Informatik die Option. Doch was auf ihn zukommt, überfordert ihn.

“Analysis für Ingenieure, das ist pure Mathematik und ich habe nur noch versucht, das irgendwie hinzubekommen”.

Nach zwei Semestern ist er am Zweifeln, will aber durchhalten. Im dritten wird ihm endgültig bewusst, dass er sich mehr quält, als ihm lieb ist. Er bricht sein Studium ab.

Weil er sportlich aktiv und körperlich fit ist, weil er von seinen Leistungen überzeugt ist, hatte er sich nach dem Abitur schon einmal bei der Berliner Polizei beworben. Er versucht es ein zweites Mal, landet diesmal auf der Warteliste. Aber warten will Laurent Rouget nicht. Von der Familie kommen Fragen. Er spürt Druck, sich entscheiden zu müssen.

Durch seinen Kopf geistert noch der Kindheitswunsch Feuerwehr. “Aber um dort beruflich eine Chance zu haben, benötigt man einen handwerklichen Beruf”, weiß er.

Zumindest von einem handwerklich-technischen Berufsbild hat er eine Vorstellung, da sein Vater als Elektriker arbeitet. Dass er praktische Fähigkeiten und Interesse besitzt, weiß er zudem aus seinem Freiwilligen Sozialen Jahr. “Also habe ich mir überlegt: Dann bewerbe ich mich überall, wo es möglich ist, für Elektroniker und Mechatroniker und schaue, welche Zusage kommt oder was passiert.” Rund 30 Bewerbungen schreibt Laurent Rouget binnen einer Woche.

Welchem Umstand es zu verdanken ist, dass eine Woche vor Beginn des Ausbildungsjahres der erlösende Anruf der BVG kommt, weiß er bis heute nicht. Aber dass er damit einen Sechser im Lotto gezogen hat, ist ihm sehr bewusst.

“Wir lernen von der Pike auf alles, was man in diesem Beruf wissen muss, auf sehr hohem Niveau.” Und plötzlich macht Mathematik wieder Spaß. “Auch die vielen Formeln, die man können muss, um zu berechnen, damit am Ende alles funktioniert«, sagt er lachend.

Dass er nach dem Abitur auf ein Studium fokussiert wurde, bedauert er heute. “Nach dem Abitur kommt ein Studium, das war unsere Option.” Dass ein möglicher Berufsweg auch eine Ausbildung sein könnte, war nie richtig im Blickfeld. “Es wäre schon cool gewesen, wenn uns jemand gesagt hätte, eine Ausbildung geht auch klar. Gab’s aber nicht.”

Längst hat er vergessen, was ihn im Studium die Füße weggezogen hat. Er hat neue Ziele, kann sich ausprobieren, auch im Team. Gerade übt er sich in der Ausbildung darin, ein Projekt zu leiten.

“Es macht Spaß, etwas zu koordinieren. Ich bin sonst verplant, aber ich mag es, Aufgaben zu verteilen, mit anderen zusammen an deren Problem zu arbeiten, um eine Lösung zu finden”.

Er kann sich überlegen, ob ich nach der Lehre noch einen Techniker dranhängt oder den Meister, aber dafür ist es noch viel zu früh, auch die Entscheidung, in welchem Bereich Laurent Rouget seine Zukunft sieht: Tram, Bus oder U-Bahn? Alles rund um die Signalanlagen und wie man sie steuert, interessiert ihn zumindest. “Ich werde schauen, was sich im Betriebsdurchlauf ergibt, denn das ist das wahre Leben in der BVG.”

Seine Eltern hatten ihm oft gesagt, Arzt werden sei toll, da könne man Geld verdienen, ein Beruf mit Prestige. Eine Ausbildung mit Prestige und Zukunft hat er auch ohne Medizinstudium gefunden. Manchmal braucht man andere Signale und Weichenstellungen.

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Das Leben ist eine Baustelle

“Ich habe versucht, mein Studium durchzuziehen, hatte ja sogar schon einen studentischen Werkvertrag in der Forschung”, sagt Sascha Lüttig, “aber irgendwann hatte ich das Studium aus den Augen verloren.” Der Forschungsjob war inzwischen auch beendet, Sascha Lüttig drückt wieder die Schulbank und büffelt für Klausuren. “Zurück an die Bücher, in die Theorie, das fiel mir einfach schwer”, sagt er. “Ich brauchte einen Neuanfang.” Er macht einen Schnitt und bricht nach 14 Semestern sein Elektrotechnikstudium ohne Abschluss ab. Knapp acht Monate später startet er neu durch. Mit 29 Jahren beginnt er im September 2016 in Berlin bei der Firma B.I.N.S.S. eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Elektroniker für Informations- und Telekommunikationstechnik.

Mit ihm gemeinsam tüfteln drei weitere Azubis mit Studienhintergrund in der Lehrwerkstatt von B.I.N.S.S.: Jahn-Thomas Zenger, Paul Brenz und Ronny Schrott. Sie hatten ebenso Elektrotechnik oder Technischen Umweltschutz studiert, ihren Entschluss allerdings schneller getroffen. Bei ihnen war schon nach zwei Semestern klar: Nicht durchs Studium quälen, sondern einen anderen Weg gehen.

“Jeder hat Stärken und Schwächen, einer hat mehr Geduld, kann akribisch an einer Sache bleiben, der andere hat mehr den Blick fürs Ganze”.

“Wenn man nach dem Abitur mit dem Studium nicht klarkommt, sich überfordert fühlt, dann sollte man es lieber sein lassen”, sagt der 21-jährige Ronny Schrott. Paul Brenz und Jahn-Thomas Zenger analysieren: Beim Übergang vom Schulsystem ins studentische Lernen fühlten sie sich alleingelassen, waren nicht gut darauf vorbereitet, was danach von ihnen erwartet wurde. Zwar hätten sie ein paar Vorgaben gehabt, um sich einen konkreten Studienplan zusammenzustellen, aber der sei viel zu vage gewesen, vieles nicht koordiniert. “Ein Link zu einer Internetseite und dann sieh’ zu”, sagt Paul Brenz noch immer enttäuscht, denn er wollte es richtig machen. “Ich habe mich entschieden, dass das nicht der richtige Weg ist”, sagt Jahn-Thomas Zenger.

Die vier jungen Männer scheinen mit ihrer Ausbildung als Elektroniker für Informations- und Telekommunikationstechnik bei B.I.N.S.S. einen Treffer gelandet zu haben. Schon beim Bewerbungstest zur Ausbildung spielte der Praxisbezug eine große Rolle. “Kein stundenlanger Wissenstest, sondern auch auf handwerkliche Fähigkeiten wurde Wert gelegt”, sagt Jahn-Thomas Zenger. Die benötigen sie auch neben theoretischem Wissen, wenn sie als Monteur auf einer Baustelle eine Brandschutzanlage oder ein Intrusionssystem montieren. “Wo darf man was verlegen, wo darf man was installieren? Welche Abstände müssen eingehalten werden, welche Kabel sind wofür?”

“Ich brauchte einen Neuanfang”.

Auch die Abwechslung zwischen schulischen Arbeitstagen, Übungstag in der Lehrwerkstatt und der Arbeit auf echten Baustellen lässt die Auszubildenden schwärmen. “Neben den Grundlagen, wie man sägt, feilt und lötet, arbeiten wir genau durch, wie funktioniert ein Brandmelder oder wie schalte ich eine Telefonanlage, so lange, bis ich es kapiert habe”, sagt Paul Brenz. Es gibt Fummelarbeiten, Denkarbeit, aber auch mal körperliche. All das zu beherrschen und sich anzustrengen lohnt auf jeden Fall. Denn jedes gute Zwischenzeugnis ab der Gesamtnote Drei aufwärts, lässt sich die Firma B.I.N.S.S. zusätzlich zur tariflichen Lehrlingsvergütung einen monatlichen Bonus kosten.

In Jens Reißberger, dem Leiter der Berufsausbildung, haben sie nicht nur einen kritischen Lehrmeister, sondern auch einen erfahrenen Partner. “Jeder hat Stärken und Schwächen, einer hat mehr Geduld, kann akribisch an einer Sache bleiben, der andere hat mehr den Blick fürs Ganze”, beschreibt er die Charaktere. In den ersten Wochen beobachtet er genau, wie sie alle ticken, denn später als Monteure auf den Baustellen müssen sie harmonieren und sich ergänzen. “Ich bin zuständig, das zu erkennen und entsprechend gut arbeitende Teams zu bilden.” Denn da gibt es immer neue Herausforderungen. “Jedes Objekt hat eine eigene Routine”, sagt Sascha Lüttig. “Immer ein neues Abenteuer”, ergänzt Paul Brenz.

Trotz oder wegen ihres Studienabbruchs ist Reißberger für seine Auszubildenden im ersten Lehrjahr voll des Lobes. “Sie bringen schon etwas Lebenserfahrung mit, auch theoretische Kenntnisse aus einem artverwandten Studiengang, das passt. “Und schmunzelnd: “Sie sind auch nicht mehr verspielt.” Soll heißen, ihre erste persönliche Niederlage im sogenannten Berufseinstieg meistern sie mit Bravour und Selbstbewusstsein. “Wenn sie als Monteure die Arbeit aus dem Effeff beherrschen, können sie später Baustellen leiten, Projekte planen, sich innerhalb der Firma hocharbeiten.”

Ronny Schrott ergänzt: “Es gibt viele Möglichkeiten, einen Beruf zu finden und sich weiter zu bilden und zu entwickeln. Außerdem kann man später immer noch studieren.”

Manchmal ist das der Umweg, aber vielleicht die bessere Entscheidung. Selbst nach 14 Semestern Studium, bestätigt Sascha Lüttig: “Es war die richtige Entscheidung, einen Cut zu machen. Das kann ich jetzt schon sagen: Ich fühle mich besser.”

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Robotik ist Zukunft

Beherzt schreitet Magdalena Banach in der Werkstatt zum Regal und greift sich die notwendigen Baugruppen heraus. Für ihre Aufgabe benötigt sie einen Schaltschrank, ein Simulationsmodell für einen Bandumlauf, also eine Industrieanlage en miniature und natürlich einen Laptop. Sie verbindet Schaltschrank und Simulationsmodell, startet das hierfür notwendige Programm am Computer und vertieft sich ganz selbstverständlich in die Welt der Automatisierungstechnik. Noch erprobt die 25-Jährige ihr Fachwissen am Modell, doch alles das kann sie zukünftig unter realen Bedingungen auf einer Großbaustelle ihres Arbeitgebers umsetzen.

Neue Herausforderungen in der Ausbildung

Magdalena Banach ist Auszubildende im zweiten Lehrjahr und wird sich nach Abschluss ihrer dreieinhalbjährigen Lehre im ABB Ausbildungszentrum Berlin Elektronikerin für Automatisierungstechnik nennen. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie ich herausgefordert werde und wie viel Spaß mir diese Ausbildung macht“, sagt sie mit einem sanften Lächeln. Dabei war dieser Berufsweg gar nicht ihre Option. Nach dem Abitur beginnt Magdalena Banach Informatik zu studieren, lernt, wie man Informationen analysiert, strukturiert und programmiert. Nach zwei eher theoretischen Semestern startet sie neu in der Bio-Informatik, da sie ihre Zukunft im biomedizinischen Bereich sieht. Doch sie quält sich bei den Mathematikprüfungen, entschließt sie sich nach fünf Semestern, auch dieses Studium abzubrechen. „Es war meine Entscheidung. Ich war auf der Suche nach mehr Sicherheit, einer schnellen Perspektive.“ Das Studium ist es für sie nicht.

“Mein Studium war theorielastig, abstrakt. In der Ausbildung kann ich die Fächer besser in Verbindung setzen, alles ist konkreter”.

Bestärkt von ihren Eltern und dem Freund bewirbt sie sich bei ABB. Sie besteht den Aufnahmetest, bei dem Allgemeinwissen, Deutsch, Mathematik, Physik, Logik und technisches Verständnis geprüft werden; Spezialwissen ist dafür nicht nötig. „Aber diese Ausbildung ist wirklich anspruchsvoll und auch vielfältig.“ Sie bedauert heute sehr, dass während des Abiturs die Option eines Ausbildungsberufes nicht zur Debatte stand. „Die Beratungen waren nur auf Studiengänge und Berufe mit Studienabschlüssen fokussiert.

Klarheit über Ziele

Magdalena Banach profitiert in ihrer Ausbildung davon, dass sie schon etwas Lebenserfahrung besitzt und selber mehr Klarheit über ihre konkreten Ziele hat. Bei ABB weiß man auch um die Vorteile. Junge Menschen, die ihr Studium abgebrochen haben, sind eine interessante Zielgruppe. „Wir sehen, dass sie sehr motiviert sind, dass sie zuverlässig arbeiten und dass sie bereits gelernt haben, sich strukturiert einem Problem, einer Aufgabe zuzuwenden“, sagt Gerd Woweries, Ausbildungsleiter im ABB Bildungszentrum Berlin, wo im Rahmen einer Verbundausbildung auch Azubis anderer Unternehmen bis zum Abschluss gebracht werden. „Zudem sind sich Studienaussteiger meist sicherer, dass sie diesen Weg gehen wollen.“ Etwa 12 Prozent der Azubis im ABB Bildungszentrum Berlin hatten vor der Lehre ein Studium begonnen.

Auch als Frau fühlt sich Magdalena Banach in der richtigen Branche. Gegen Frauen gibt es keine Vorbehalte. „Ich kann dann vorweisen: Das habe ich gebaut, das habe ich schon programmiert, das läuft.“ Ausbildungsleiter Gerd Woweries bestätigt, dass Frauen hervorragende Kompetenzen für diesen Ausbildungsberuf mitbringen. „Sie sind aufmerksam, motiviert, verfügen über feinmotorische Fähigkeiten und sind sehr zielstrebig.“

Berufliche Ziele hat Magdalena Banach konkret vor Augen. Wenn sie alle Voraussetzungen erfüllt, möchte sie die Ausbildung bereits nach drei Jahren beenden. „Am liebsten würde ich später selber als Berufsausbilderin arbeiten, denn es ist toll, Wissen an Jüngere weiterzugeben. Ich habe hier gute Vorbilder. Aber mich interessiert auch die Robotik, die ist Zukunft.“ Sie hat viele Optionen mit ihrer Ausbildung zur Elektronikerin für Automatisierungstechnik. „Die Richtung stimmt. Ich will auch keine Zeit mehr verlieren“, sagt sie.

“Die Richtung stimmt. Ich will keine Zeit mehr verlieren”.

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Beruf hat mit Berufung zu tun

Felix Stankewitz hat es geschafft. Nach seiner 18-monatigen, verkürzten Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration hat er nun einen festen Platz als Mitarbeiter im Team von wycomco.

„Mein Vater riet mir, nach dem Abitur den Weg über die betriebliche Ausbildung zu wählen. Eine duale Ausbildung hatte ich aber damals gar nicht im Blick, für meine Freunde und mich war völlig klar, dass der Weg nach dem Abitur unweigerlich zur Uni führt.“ Für Felix Stankewitz, der an einem renommierten Berliner Gymnasium ein gutes Abitur absolvierte, gab es nie Zweifel am Weg der akademischen Laufbahn. Doch der Weg ist lang und sehr steinig.

Beginn einer kompletten Neuorientierung

Er studiert Elektrotechnik, wechselt in die Informatik und steht nach zehn Jahren noch immer ohne Abschluss da. Schweren Herzens trifft er die Entscheidung, die Universität zu verlassen. „Als ich mich mit dem Gedanken trug, mein Studium an den Nagel zu hängen, vertraute ich mich damals nur meiner Familie und den engsten Freunden an.” Mit Anfang 30 begibt er sich auf die Suche nach einer Alternative und er weiß, dass es ohne Abschluss nicht leicht wird. Ein glücklicher Zufall kommt ihm zu Hilfe. Bei seinen Recherchen wird er auf das Programm „Your Turn“ der Berliner IHK aufmerksam; und erhält Unterstützung. Der Beginn einer kompletten Neuorientierung.

Eine Bestandsaufnahme seiner bislang erworbenen Kenntnisse und eine passgenaue Vermittlung zur IT-Beratung wycomco helfen Felix Stankewitz dabei, einen geeigneten Ausbildungsplatz als Fachinformatiker für Systemintegration zu finden. Für seinen neuen Arbeitgeber ist das Bewerbungsgespräch entscheidend. „Wenn die Geschichte, die hinter einem Studienabbruch steckt, plausibel vermittelbar ist, dann sind wir sehr offen, jungen Menschen eine Chance im Unternehmen anzubieten“, sagt Daniel Zapf, Geschäftsführer von wycomco. In Deutschland, sagt er, sei das Thema Studienabbruch mit dem Begriff „Scheitern“ überwiegend negativ besetzt. Für Daniel Zapf ist wichtig, dass eine reflektierte, bewusste Entscheidung getroffen wird und diese offen und ehrlich im Bewerbungsgespräch zur Sprache kommt. Felix Stankewitz’ Flucht aus der Universität war glaubwürdig. Sein Wille und auch der Mut, einen beruflichen Weg neu aufzustellen und das Stück Lebens- und Lernerfahrung aus dem Studium, waren für Geschäftsführer Zapf überzeugend genug. „Beruf hat etwas mit Berufung zu tun,“ so Daniel Zapf.

Vorhandene Kompetenzen nutzen

Ihm geht es nicht um Dankbarkeit von Studienaussteigern, wenn er sie an Bord nimmt. Er weiß um ihre schon vorhandenen Kompetenzen: Strukturiertes Arbeiten und selbständiges Lernen, Methodenkompetenz, sich Prozesse zu erarbeiten, all dies sind Fähigkeiten, die auch Felix Stankewitz als Studienabbrecher mitbringt und die angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung vieler Arbeitsbereiche gerade in der IT-Branche stark gefragt werden. „Bei Felix’ Hintergrund und Herangehensweise konnten wir ihn bereits nach einem halben Jahr in das Auftragsgeschäft einbinden und er hat sich dabei beweisen können“, sagt Daniel Zapf.

Bereits nach 18 Monaten kann Felix seine Ausbildung beenden. Hierfür waren seine abgeschlossenen Studiensemester sowie die hier erreichten Leistungspunkte des Studiums ausschlaggebend. „Im Grunde ist eine verkürzte Ausbildung wie eine verlängerte Probezeit. Bei wycomco hatten wir von vorn herein die gemeinsame Perspektive und das Übernahmeziel im Auge“, sagt Daniel Zapf.

Felix Stankewitz hat heute im Unternehmen ein vielfältiges Spektrum an Aufgaben, berät die Kunden vor Ort und konzipiert in einem interdisziplinären Team Lösungen der Systemintegration, Migration von Serversystemen, Umgang und Integration von Komponenten und anderes mehr. wycomco entwickelt individuelle Lösungen für Kunden, daran ist Felix Stankewitz konzeptionell beteiligt und erarbeitet Vorschläge, berät sie. „Beratung ist spannend, weil sie Gestaltungsspielraum beinhaltet“, weiß Felix Stankewitz. Ganzheitliche Aufgabenstellungen werden kreativ und innovativ behandelt, um das beste Ergebnis für die Kunden hervor zu bringen.

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Lösungen mit Licht. Technik, die begeistert

„Eine Nullachtfünfzehn-Ausbildung kam für mich nicht infrage”, sagt Vincent. „Mir war klar, ich suche etwas Technisches. Und auf den Beruf des Feinoptikers bin ich über einen Auswahltest in einem Portal für Auszubildende im Internet aufmerksam geworden. Nach der Eingabe meiner Fähigkeiten und Interessen wurde mir der Feinoptiker als Beruf vorgeschlagen. Da ich vorher noch nie davon gehört hatte, wollte ich unbedingt mehr darüber erfahren.” Seine Neugier war geweckt, auch wenn der Beruf am Anfang eher nach Optiker und Brille klang. Beim Recherchieren begriff er ganz schnell, dass es im Beruf um vielfältige handwerkliche und technisch anspruchsvolle Aufgaben geht. Er sucht nach Firmen, die diese Ausbildung anbieten und schickt eine Initiativbewerbung an Berliner Glas – seinen jetzigen Ausbildungsbetrieb.

Schon der Einstellungstest hatte dem jungen Mann gut gefallen. „Wir hatten Einzelaufgaben zu lösen, aber auch Gruppenaufgaben mit anderen”, sagt er. Aufgabe besprechen, überlegen, tüfteln. Der Test lief bestens, so dass Vincent später zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. „Man legt nicht nur das Zeugnis auf den Tisch, sondern ich hatte auch das Gefühl: Hier werden sich viele Gedanken um die Person hinter den Noten gemacht.”

Inzwischen beendet Vincent sein zweites Ausbildungsjahr als Feinoptiker. Der Weg dahin war einer mit Umwegen und Brüchen, sogar zwei Studienabbrüchen. Nach dem Abitur entschied sich der Berliner für Energie- und Prozesstechnik an der TU Berlin, weil er sich einen sicheren Arbeitsplatz für die Zukunft vorstellte. „Doch ich stand mir zum größten Teil selbst im Weg, war mit dem Kopf noch nicht im Studium angekommen”, sagt er heute selbstkritisch. Er hatte sich schwer getan, Studienaufgaben, Zeit und Freizeit richtig einzuteilen. „Und wenn man erst einmal den Anschluss verloren hat, dann wird es immer schwieriger, den wieder zu bekommen, gerade bei einem anspruchsvollen Studium.” Vincents Eltern entgeht das nicht. Gemeinsam halten sie Familienrat, ohne Vorwürfe, dafür lösungsorientiert. „Wir haben beratschlagt, ob eine Fachhochschule mit ihren stärker kontrollierten Strukturen für mich vielleicht besser wäre.”

Die Wahl des zweiten Studiengangs fiel Vincent nicht schwer. In der Schule hat ihm Biologie viel Spaß gemacht, er hatte Biologie sogar als Leistungskurs. Daher entschied er sich an der Fachhochschule für Lebensmitteltechnologie. Seine Leistungen verbessern sich, das Studium war strukturiert, er schrieb seine Arbeiten und absolvierte Experimente. „Doch ich spürte, das Fach war keine inhaltliche Befriedigung für mich.” Diesmal zieht Vincent selber die Reißleine – nach drei Semestern. „Ich merkte, ich leiste nicht das, was ich leisten kann und will. Ich wollte mich nicht noch einmal verrennen.” Er habe danach dennoch ein gutes Gefühl gehabt, sich so entschieden zu haben, sagt er. „Schluss mit dem Rumeiern. Es ging so nicht weiter.” Und so stieß er beim Recherchieren im Netz nach einer technisch-handwerklichen Ausbildung auf den Beruf Feinoptiker und die Firma Berliner Glas.

„Wir wissen in der Regel schon vor allen anderen, wohin die technische Entwicklung geht.”

Er bezeichnet es „als Glücksfall” und kommt nicht aus dem Schwärmen heraus. „In diesem Beruf geht es viel um Licht und Laser und darum, Licht nutzbar zu machen.” Das ist ein beeindruckender Fachbereich, der uns überall umgibt, ohne dass man es sofort merkt: Displays fürs Handy, die neue Zahnkamera beim Zahnarzt, Module für die Satellitenkommunikation oder die Chip-Herstellung – diese und viele weitere spannende Anwendungen benötigen die Fertigkeiten von Feinoptikern. „Wir wissen in der Regel schon vor allen anderen, wohin die technische Entwicklung geht”, sagt er nicht ohne Stolz darauf, in einer der modernsten und boomenden Branche zu arbeiten. „Wenn ich hier eine Formel berechnen oder eine Gleichung lösen muss, dann kann ich das gleich anwenden und sehe am Ende was ich getan habe, das ist etwas Greifbares.”

Sein Lieblingsthema sind hochpräzise Spiegel aus Silizium-Karbid für die Satellitenkommunikation. „Die müssen extrem plan sein, damit ein Laserstrahl über mehrere Zehntausend Kilometer reflektiert werden kann. Jeder tausendstel Millimeter Abweichung verursacht auf diese Entfernung eine große Fehlertoleranz.” Persönlich hat der 26-Jährige schon mitgearbeitet bei Linsen für einen renommierten Hersteller von Kinoobjektiven. Inzwischen geht er mit ganz anderen Augen als andere ins Kino, wissend, dass da möglicherweise gerade seine Arbeit für HD-scharfe Bilder auf der Leinwand sorgt.

Viel Fingerspitzengefühl ist im Beruf gefragt, Sauberkeit und Exaktheit, aber ebenso Ausdauer, manchmal auch Kraft, Umgang mit digitalen Geräten sowieso. Von Handarbeit bis Maschinenbedienung im Drei-Schicht-System reicht das Spektrum, ein Beruf für Frauen und Männer gleichermaßen. Jeder findet entsprechend seinen Platz. „Was wir hier benötigen, lernt man nicht allein durchs Bücherlesen. Da holt man sich die Theorie, alles andere ist Erfahrung.” Ob eine Linse konkav oder konvex, mit oder ohne Spitze ist. „Man merkt wirklich am Ergebnis, wie man gearbeitet hat, ob man unkonzentriert war oder sich nicht voll hingegeben hat”, sagt der angehende Feinoptiker. „Tatsächlich ist das Polieren von Hand eine Herausforderung.”

Vincent ist mit Hingabe dabei, bestätigt sein Lehrmeister Stephan Giese. Dass der Auszubildende vorher andere Wege probiert und dabei Umwege genommen hat, ist kein Manko: „Vieles kann er sowieso gebrauchen, dazu kommen Lebenserfahrung und menschliche Reife.”

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

Ein Weltverbesserer in Startposition

Wenn Marco Schröder kurz seinen Blick von der Arbeit hebt und durch die Hallenfenster schweifen lässt, dann kann er Flugzeuge starten und landen sehen: große Airbus und kleinere Global. Und nur knapp einen Kilometer entfernt erkennt er das nagelneue Hauptgebäude des BER, das in der Wintersonne funkelt und seines Schicksals harrt. Marco Schröder selber arbeitet in einer riesigen Werkhalle, in der sich sein Arbeitgeber Lufthansa Bombardier Aviation Services und Germania die Fläche teilen. Man könnte sagen: die KFZ-Werkstatt für Fluggeräte aller Art. Hier werden sie inspiziert, repariert, gewartet.

Wovon andere träumen, das ist Marco Schröders tägliche Arbeit. Dann darf er auch mal das Cockpit eines Flugzeuges betreten und Hand anlegen.
“Alles, was im Flugzeug zur Elektronik gehört, ist mein Arbeitsbereich”, sagt der 33-Jährige Fluggerätelektroniker. Und in einem Cockpit gibt es viel Elektronik. Alle Hebel und Knöpfe müssen tadellos funktionieren, die Bordelektronik sowieso. Er weiß, wo Kabel liegen, wo Batterien sitzen und warum welches Lämpchen wann leuchten muss. Er checkt deren Funktionstüchtigkeit oder muss die Fehlerquelle finden. Und natürlich beseitigen.

28 Monate hat Marco Schröder dafür gelernt, theoretisch und praktisch, damit er eine Lizenz erhält, um diesen Beruf ausüben zu können. “Es ist ein tolles Gefühl, jetzt”, sagt er. Und es wird noch besser, wenn er sein erstes Gehalt ausgezahlt bekommen wird. Dann werden ihn die Rückschläge der vergangenen Jahre nicht mehr kümmern und nicht mehr an seinem Selbstwertgefühl kratzen.

Nach dem Abitur 2002 und einer Ausbildung als Veranstaltungskaufmann hatte Marco Schröder ein Studium zum Wirtschaftsingenieur für Umwelt und Nachhaltigkeit aufgenommen. “Ich wollte die Welt verbessern”, sagt er über sein Motiv. Das Studium ist eng getaktet, läuft strikt nach Stundenplan. Tagsüber büffelt er Wirtschaft und technische Fächer, nachts jobbt er, manchmal. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Neun Semester hat Marco Schröder in seinem Bachelor-Studiengang absolviert, “90 Prozent meines Studienpensums hatte ich schon geschafft”, blickt er zurück. Er verhaut die dritte Mechanik-Prüfung. “Dabei stand ich im Fach ganz gut”, sagt er. “Ich habe bis zum Schluss versucht, das hinzubekommen.”
Eine Nachprüfung gibt es nicht, auch keine mündliche Prüfung. In der Studienverwaltung spricht er vergebens vor, ebenso beim Mechanik-Dozenten. Der Bachelorstudiengang ist streng reguliert, ihm bleibt keine Zeit mehr und er verlässt das Studium ohne Abschluss. “Ich bin dann in ein Loch gefallen, war sehr demotiviert”, sagt er im Rückblick.

“Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht als das gesehen wurde, was ich schon geschafft hatte, nur weil mir ein Schein fehlte.”

Es wird ihm noch mehrfach begegnen.

Der Weg aus der Hochschule führt Marco Schröder direkt zur Arbeitsagentur, doch auch hier ist der Einstieg erst einmal deprimierend, wenn er sich anhören muss, er habe in seinem Leben noch nie richtig gearbeitet. In seinen Ausbildungsberuf möchte er nicht zurückkehren. Er belegt Kurse und Weiterbildungen, “damit ich vom Amt nicht sanktioniert werde”, so der Studienaussteiger, aber auch hier bleibt er anfangs beruflich ohne Perspektive. Erst ein  Umzug und damit ein neuer Berater bringt einen Umschwung.

“Der hat sich meinen Lebenslauf mal genau angesehen, sich damit beschäftigt, was ich schon an Erfahrungen mitbringe und mir eine Empfehlung für ein Praktikum gegeben.”

Marco Schröder nutzt ein achtwöchiges Praktikum bei TRAINICO, einem großen Bildungsunternehmen, das sich auf Berufe in der Luftfahrt spezialisiert hat, das sein Leben ändern wird. Selbst der weite Arbeitsweg aus dem Wedding bis nach Wildau am südöstlichen Stadtrand stört den gescheiterten Studenten nicht. Schließlich ist er auf der Suche nach einem Beruf, der ihm Ein- und Auskommen bringen kann. “Das Reinschnuppern hat mir richtig gefallen. Es war ein bisschen wie Lego für Erwachsene”, sagt er schmunzelnd und meint die Möglichkeit, luftfahrttechnische Geräte und Systeme “im Trainingsbetrieb ausprobieren zu können”. Marco Schröder weiß fortan: Fluggerätelektronik interessiert ihn, hier sieht er für sich eine Perspektive.

Mit der Unterstützung seines Beraters nimmt er im Anschluss die geförderte IHK-Umschulung bei TRAINICO auf, absolviert noch einmal einen Test, besteht diesen und ist somit auf dem Wege, der aus ihm innerhalb der nächsten 28 Monate einen Fluggerätelektroniker mit großer Leidenschaft macht. Er lernt in der Praxis und büffelt viel Theorie: alles rund ums Flugzeug, warum es überhaupt fliegen kann, welche Materialien verbaut werden, weiß alles über Aerodynamik, Triebwerke und sogar wie ein Propeller funktioniert, auch wenn die heute selten im Einsatz sind. “Und insbesondere Luftrecht ist ein sehr großer Teil der Ausbildung”, denn jeder Handgriff an einem Flugobjekt muss nicht nur beim Bau, sondern insbesondere bei der Wartung oder Reparatur nachvollziehbar und exakt dokumentiert sein. “Und alles in Englisch.” Wer an einem Flugzeug Hand anlegt, hat nicht nur strenge Regularien zu befolgen, sondern auch eine hohe Verantwortung.

“Aber ich habe den Beruf auch ausgewählt, weil ich mir das zutraue.”

Torsten Helmers, der als Referent für die Trainingskoordination und Arbeitssicherheit seiner Firma zuständig ist und selbst einmal in der Wartung gearbeitet hat, weiß, “dass ein Großteil dieses Berufes vom persönlichen Interesse abhängt. Man muss beharrlich sein, darf an einem Problem nicht verzagen, wird sich immer weiterbilden können. Hier gibt es keinen Stillstand.”

Seine zwölfmonatige Praxisausbildung hat Marco Schröder bei Lufthansa Bombardier Aviation Services unter wachsamen Augen seines Betreuers und seiner Kollegen absolviert. Die Verantwortlichen haben ihn während des Jahres nicht nur genau beobachtet, sondern auch schätzen gelernt und ihm eine Festanstellung angeboten. Seine Kollegen, mit denen er an den Flugzeugen arbeitet, sehen seinen Arbeitseifer und erkennen an, was er schon geschafft hat.

“Ich muss noch viel lernen, Erfahrungen sammeln”, sagt Marco Schröder.

“In der Flugtechnik kommt permanent Neues. Da muss man dran bleiben. Selbst alte Hasen wissen nicht alles.”

Dran bleibt er und seine Startbahn hat Marco Schröder auch endlich erreicht.

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.

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Wissenschaftliche Statistiken und Forschungsergebnisse können dir dabei helfen, deine eigene Situation und deine beruflichen Zukunftsperspektiven besser einzuordnen.

 

  1. Wusstest du, dass jeder bzw. jede dritte Bachelorstudierende das Studium vorzeitig beendet?
  2. Wusstest du, dass 50 % der Bachelorstudierenden an Universitäten in den Fächergruppen Mathematik und Naturwissenschaften ihr Studium nicht beenden?
  3. Wusstest du, dass die durchschnittliche Fachstudiendauer bis zum Studienausstieg 5,2 Semester beträgt?
  4. Wusstest du, dass mehrere Ursachen zusammen (bspw. mangelnde Motivation bzw. berufliche Alternativen) zum Ausstieg aus der Hochschule führen?
  5. Wusstest du, dass fast drei Viertel der ehemaligen Studierenden ein halbes Jahr nach Exmatrikulation in den Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt integriert sind?
  6. Wusstest du, dass 43 % der Studienaussteiger*innen eine Berufsausbildung aufnehmen?
  7. Wusstest du, dass sowohl das Studium als auch dessen vorzeitige Beendigung Teile der individuellen beruflichen Suche von jungen Menschen sind?
  8. Wusstest du, dass dich Beratungsinstitutionen (bspw. an der Hochschule oder bei der Arbeitsagentur) kostenlos unterstützen können, deinen eigenen beruflichen Weg zu gestalten?

 

Lust auf mehr Fakten? In unserem Studienabbruch Podcast sprechen wir mit Dr. Dana Bergmann die Berufsbiographien von Studienabbrecher*innen untersucht.

Literatur:

Bergmann, D. (2020). Verwirklicht, entwickelt, diffus. Eine biografische Analyse der beruflichen Entwicklung von Studienabbrecherinnen und -abbrechern. Wiesbaden: Springer VS.

Heublein, U., Ebert, J., Hutzsch, C., Isleib, S., König, R., Richter, J., & Woisch, A. (2017). Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit. Ursachen des Studienabbruchs, beruflicher Verbleib der Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher und Entwicklung der Studienabbruchquote an deutschen Hochschulen. (Forum Hochschule 1/2017). Hannover: DZHW.

Heublein, U., Hutzsch, C., König, R., Kracke, N. & Schneider, C. (2018). Die Attraktivität der beruflichen Bildung bei Studienabbrecherinnen und Studienabbrechern. (Reihe Berufsbildungsforschung, Band 18). Berlin: BMBF.

Heublein, U., Hutzsch, C., & Schmelzer, R. (2022). Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland. (DZHW Brief 05|2022). Hannover: DZHW.

Für weitere Informationen wende dich an: info@queraufstieg.de