Ein Weltverbesserer in Startposition

Wenn Marco Schröder kurz seinen Blick von der Arbeit hebt und durch die Hallenfenster schweifen lässt, dann kann er Flugzeuge starten und landen sehen: große Airbus und kleinere Global. Und nur knapp einen Kilometer entfernt erkennt er das nagelneue Hauptgebäude des BER, das in der Wintersonne funkelt und seines Schicksals harrt. Marco Schröder selber arbeitet in einer riesigen Werkhalle, in der sich sein Arbeitgeber Lufthansa Bombardier Aviation Services und Germania die Fläche teilen. Man könnte sagen: die KFZ-Werkstatt für Fluggeräte aller Art. Hier werden sie inspiziert, repariert, gewartet.

Wovon andere träumen, das ist Marco Schröders tägliche Arbeit. Dann darf er auch mal das Cockpit eines Flugzeuges betreten und Hand anlegen.
“Alles, was im Flugzeug zur Elektronik gehört, ist mein Arbeitsbereich”, sagt der 33-Jährige Fluggerätelektroniker. Und in einem Cockpit gibt es viel Elektronik. Alle Hebel und Knöpfe müssen tadellos funktionieren, die Bordelektronik sowieso. Er weiß, wo Kabel liegen, wo Batterien sitzen und warum welches Lämpchen wann leuchten muss. Er checkt deren Funktionstüchtigkeit oder muss die Fehlerquelle finden. Und natürlich beseitigen.

28 Monate hat Marco Schröder dafür gelernt, theoretisch und praktisch, damit er eine Lizenz erhält, um diesen Beruf ausüben zu können. “Es ist ein tolles Gefühl, jetzt”, sagt er. Und es wird noch besser, wenn er sein erstes Gehalt ausgezahlt bekommen wird. Dann werden ihn die Rückschläge der vergangenen Jahre nicht mehr kümmern und nicht mehr an seinem Selbstwertgefühl kratzen.

Nach dem Abitur 2002 und einer Ausbildung als Veranstaltungskaufmann hatte Marco Schröder ein Studium zum Wirtschaftsingenieur für Umwelt und Nachhaltigkeit aufgenommen. “Ich wollte die Welt verbessern”, sagt er über sein Motiv. Das Studium ist eng getaktet, läuft strikt nach Stundenplan. Tagsüber büffelt er Wirtschaft und technische Fächer, nachts jobbt er, manchmal. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Neun Semester hat Marco Schröder in seinem Bachelor-Studiengang absolviert, “90 Prozent meines Studienpensums hatte ich schon geschafft”, blickt er zurück. Er verhaut die dritte Mechanik-Prüfung. “Dabei stand ich im Fach ganz gut”, sagt er. “Ich habe bis zum Schluss versucht, das hinzubekommen.”
Eine Nachprüfung gibt es nicht, auch keine mündliche Prüfung. In der Studienverwaltung spricht er vergebens vor, ebenso beim Mechanik-Dozenten. Der Bachelorstudiengang ist streng reguliert, ihm bleibt keine Zeit mehr und er verlässt das Studium ohne Abschluss. “Ich bin dann in ein Loch gefallen, war sehr demotiviert”, sagt er im Rückblick.

“Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht als das gesehen wurde, was ich schon geschafft hatte, nur weil mir ein Schein fehlte.”

Es wird ihm noch mehrfach begegnen.

Der Weg aus der Hochschule führt Marco Schröder direkt zur Arbeitsagentur, doch auch hier ist der Einstieg erst einmal deprimierend, wenn er sich anhören muss, er habe in seinem Leben noch nie richtig gearbeitet. In seinen Ausbildungsberuf möchte er nicht zurückkehren. Er belegt Kurse und Weiterbildungen, “damit ich vom Amt nicht sanktioniert werde”, so der Studienaussteiger, aber auch hier bleibt er anfangs beruflich ohne Perspektive. Erst ein  Umzug und damit ein neuer Berater bringt einen Umschwung.

“Der hat sich meinen Lebenslauf mal genau angesehen, sich damit beschäftigt, was ich schon an Erfahrungen mitbringe und mir eine Empfehlung für ein Praktikum gegeben.”

Marco Schröder nutzt ein achtwöchiges Praktikum bei TRAINICO, einem großen Bildungsunternehmen, das sich auf Berufe in der Luftfahrt spezialisiert hat, das sein Leben ändern wird. Selbst der weite Arbeitsweg aus dem Wedding bis nach Wildau am südöstlichen Stadtrand stört den gescheiterten Studenten nicht. Schließlich ist er auf der Suche nach einem Beruf, der ihm Ein- und Auskommen bringen kann. “Das Reinschnuppern hat mir richtig gefallen. Es war ein bisschen wie Lego für Erwachsene”, sagt er schmunzelnd und meint die Möglichkeit, luftfahrttechnische Geräte und Systeme “im Trainingsbetrieb ausprobieren zu können”. Marco Schröder weiß fortan: Fluggerätelektronik interessiert ihn, hier sieht er für sich eine Perspektive.

Mit der Unterstützung seines Beraters nimmt er im Anschluss die geförderte IHK-Umschulung bei TRAINICO auf, absolviert noch einmal einen Test, besteht diesen und ist somit auf dem Wege, der aus ihm innerhalb der nächsten 28 Monate einen Fluggerätelektroniker mit großer Leidenschaft macht. Er lernt in der Praxis und büffelt viel Theorie: alles rund ums Flugzeug, warum es überhaupt fliegen kann, welche Materialien verbaut werden, weiß alles über Aerodynamik, Triebwerke und sogar wie ein Propeller funktioniert, auch wenn die heute selten im Einsatz sind. “Und insbesondere Luftrecht ist ein sehr großer Teil der Ausbildung”, denn jeder Handgriff an einem Flugobjekt muss nicht nur beim Bau, sondern insbesondere bei der Wartung oder Reparatur nachvollziehbar und exakt dokumentiert sein. “Und alles in Englisch.” Wer an einem Flugzeug Hand anlegt, hat nicht nur strenge Regularien zu befolgen, sondern auch eine hohe Verantwortung.

“Aber ich habe den Beruf auch ausgewählt, weil ich mir das zutraue.”

Torsten Helmers, der als Referent für die Trainingskoordination und Arbeitssicherheit seiner Firma zuständig ist und selbst einmal in der Wartung gearbeitet hat, weiß, “dass ein Großteil dieses Berufes vom persönlichen Interesse abhängt. Man muss beharrlich sein, darf an einem Problem nicht verzagen, wird sich immer weiterbilden können. Hier gibt es keinen Stillstand.”

Seine zwölfmonatige Praxisausbildung hat Marco Schröder bei Lufthansa Bombardier Aviation Services unter wachsamen Augen seines Betreuers und seiner Kollegen absolviert. Die Verantwortlichen haben ihn während des Jahres nicht nur genau beobachtet, sondern auch schätzen gelernt und ihm eine Festanstellung angeboten. Seine Kollegen, mit denen er an den Flugzeugen arbeitet, sehen seinen Arbeitseifer und erkennen an, was er schon geschafft hat.

“Ich muss noch viel lernen, Erfahrungen sammeln”, sagt Marco Schröder.

“In der Flugtechnik kommt permanent Neues. Da muss man dran bleiben. Selbst alte Hasen wissen nicht alles.”

Dran bleibt er und seine Startbahn hat Marco Schröder auch endlich erreicht.

 

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.