Gefordert und gefördert

“Ich war mal wieder von einem Vorstellungsgespräch in Frankfurt am Main gekommen und mir ging es sehr, sehr schlecht.” Karin Schulz wurde bewusst: “Ich habe nie eine Chance, ich bekomme keine Anstellung in dem Bereich, in dem ich so gerne arbeiten will.”
Dabei stand ihr Berufstraum und Traumberuf so fest, wie die deutsche Botschaft in Peking: Die studierte Sinologin wollte in der Wirtschaft arbeiten, den Duft der Welt schnuppern, keinesfalls in einem Museum wertvolle kunsthistorische Studien betreiben. Viel hatte sie dafür getan: Sich beim Abitur ordentlich ins Zeug gelegt, das Sprachvorbereitungsjahr hervorragend absolviert, sich durch zahllose Exkurse in Neuer Geschichte und ostasiatischer Kunstgeschichte gearbeitet. Alles schien auf Erfolg programmiert. Den Magisterabschluss 2009 darf man als ausgezeichnet umschreiben. “Ich habe mich bundesweit bei großen Unternehmen beworben”, sagt Karin Schulz, “aber die Vorstellungsgespräche liefen nicht prickelnd.” Mal war es das Nebenfach, was ihr zum Verhängnis wurde, immer häufiger die Tatsache, dass sie zweifache Mutter war.

“Ausgebremst wurde ich noch nie”

Karin Schulz fasst einen radikalen Beschluss: “Ich fange ganz von vorne an, erlerne einen völlig artfremden Beruf.” Ein harter Schnitt, dessen ist sie sich bewusst. “Das Handwerk suchte Arbeitskräfte. Und eine Affinität zum Handwerk hatte ich, konnte mit Händen arbeiten, mir viel vorstellen”, sagt sie. “Auch für Naturwissenschaften wie Mathematik und Physik hatte ich immer ein Faible.” Während der Entscheidungsfindung selbst war ihr nur bewusst, dass sie eine berufliche Veränderung braucht.

B.I.N.S.S. bietet interessante Aufgabengebiete und vielfältige Karrierechancen in der Informations- und Telekommunikationstechnik

Karin Schulz bewirbt sich bei verschiedenen Firmen um eine Ausbildung, darunter handwerkliche aber auch Büroberufe. Die Firma B.I.N.S.S., ein mittelständiges Unternehmen in Berlin-Weißensee, spezialisiert auf die Projektierung und Montage von Brandschutz-, Intrusionsschutz-, Netzwerk- und Sicherheitssysteme aller Art, ist die erste, die Interesse signalisiert. Und Karin Schulz ist in der Firma die erste weibliche Auszubildende als Elektronikerin für Informations- und Kommunikationstechnik. Im September 2013, inzwischen 31 Jahre alt, startet sie in ein neues Berufsleben. Bereits zweieinhalb Jahre später hat sie das Abschlusszeugnis und eine Festanstellung als Bauleiterin in der Tasche. Bei B.I.N.S.S. hatte sie viel gelernt, aber auch ausprobieren dürfen. “Schon während meiner Ausbildung habe ich Programmieren gelernt, bauleitende Tätigkeiten übernommen, meine Organisationsfähigkeiten beweisen können, aber auch Papierkram erledigt.”
Ein Projektleiter hat erkannt, dass Karin Schulz weit mehr beherrscht, als gefordert war. “Ich hatte halt Glück, dass das, was in mir steckt, anscheinend gesehen wurde, und dass immer Kollegen bemüht waren, mir Aufgaben zu geben, die ich wohl immer gut erfüllt habe.”

“Ich fange ganz von vorne an, erlerne einen völlig artfremden Beruf.”

Bei B.I.N.S.S. wurde ihr Raum gegeben, sich zu entwickeln. Die gute Auffassungsgabe, ihre Neugier und ihr Geschick kamen Karin Schulz zugute. Auch, dass sie keine Hemmungen hat, sich auf der Baustelle mal schmutzig zu machen oder zu heben. “Na klar, das kommt vor, ist aber nicht die Regel. Und man muss auch mal zupacken können.” Es sei alles im normalen Bereich und für Frauen kein Problem. “Nach der Ausbildung bieten sich so unterschiedliche Aufgabengebiete und Möglichkeiten, dass man auch mal Ausnahmesituationen auf Baustellen übersteht”, ist Karin Schulz überzeugt.

Stolz ist sie sowieso. “Ich bin hier reingegangen und wollte erst einmal nur etwas anderes als Sinologie machen. Ich hatte nie erwartet, dass es mir Spaß machen würde. Zu Elektrotechnik gab es vorher keinen Bezug, außer indirekt über meinen Mann. Dass es ein Beruf werden würde, worin ich wirklich aufgehe, das war vorher nie zu erwarten.” Im Rückblick denkt sie, jeder sollte sich schon viel früher die Frage stellen, welches Fach man studiert und ob es wirklich das richtige ist? “Einfach mehr hinterfragen, was es mit einem selbst zu tun hat, die Überforderungen genau analysieren.” Ein duales Studium zum Beispiel könnte ja auch eine geeignete Lösung sein.
Das Handwerk bietet auf jeden Fall Chancen. “Für Menschen mit Köpfchen sowieso”, sagt die Powerfrau. “Ideen sind immer willkommen. Wenn sie passen, werden sie umgesetzt. Ausgebremst wurde ich noch nie”, sagt sie ganz entspannt. Auch nicht, als ihr drittes Kind unterwegs war.

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.