Kunstfertigkeit von der Wurzel bis zum Baumwipfel

Als es auf die Abiturprüfungen zuging, hatte Lennart Münch noch keine Idee, was danach käme. Klar war nur, dass er studieren würde. Wo oder welche Fachrichtung, das war die große Frage. Ein wenig saß er in der Klemme – am heimischen Tisch in Koblenz. „Meine Eltern hatten versucht, mich ein bisschen zu lenken”, sagt Lennart Münch rückblickend. „Deren Vorstellungen drehten sich um einen Beruf bei einer Versicherung oder als Bürokaufmann. Klassische, sichere Sachen, wie mein Vater immer sagte.” Aber genau das war es nicht, was den Abiturienten wirklich vom Hocker riss.

Klar sei Lennart Münch nur gewesen, „dass es ein Beruf sein sollte, bei dem ich viel draußen bin und Bewegung habe”. Das stand für ihn, den sportbegeisterten Abiturienten, 2008 fest. Also erst einmal Zeit gewinnen und jobben. Gemeinsam mit einem Schulfreund zog er 2009 nach Berlin. Nur wenige Quadratmeter groß war sein eigenes Reich in einer WG, aber einen Studienplatz an der Humboldt-Universität im Studiengang Gartenbauwissenschaften hatte er auch in der Tasche. Eigentlich passte alles, als er im Herbst 2009 sein neues Leben startete. Doch schnell wurde dem gebürtigen Rheinländer klar: Das Studium lief nicht optimal, ganz anders als er sich das vorgestellt hatte. „Das war chaotisch. Ich wusste nicht genau, was wann und warum passiert, wohin ich als nächstes muss oder wen ich wieder treffe.” Die Anonymität einer großen Universität überfordert ihn, ebenso die Organisation – und wohin das Studium einmal führen sollte, wurde ihm auch nicht klar. „Es lief auf wissenschaftliches Arbeiten hinaus: Wie baut man die Gewächshäuser der Zukunft? Wie optimiert man den Obst- und Gemüseanbau?” Wissenschaftliche Botanik hat ihn eher gelangweilt. „Aber ich wusste auch selbst nicht, was ich mit mir anfangen sollte”, sagt Lennart Münch selbstkritisch über jene Zeit als Neu-Berliner. „Da kamen sehr schnell viele negative Emotionen.”

Praktikum ermöglichte neuen Blick

Offenbarung brachte ihm ein Pflichtpraktikum, das er im Frühjahr 2010 bei einem sehr familiären Garten- und Landschaftsbaubetrieb in Kleinmachnow absolvierte. Zwar war Lennart Münch die harte Arbeit im Freien nicht gewohnt, die Aufgaben waren mitunter körperlich anstrengend, der Winter längst noch nicht vorüber und der Weg zur Arbeit sehr weit, „aber es war trotzdem sehr vielfältig und interessant. Außerdem hat mir das praktische Arbeiten damals die Augen geöffnet”, sagt der inzwischen 31-Jährige.

Sein Entschluss stand felsenfest: Er brach sein Studium an der Humboldt-Universität ab und bewarb sich um eine betriebliche Ausbildung als Gärtner bei einer Garten- und Landschaftsbaufirma in der Nähe von Potsdam. Komplex sind die Themen, mit denen er sich fortan beschäftigte: mit Standortbedingungen von Pflanzen, mit Bodenstrukturen, den Umgang mit Materialien wie Holz, Stein und Metall. Das traf seinen Nerv. Lennart Münch büffelte botanische Namen, paukte DIN-Vorgaben und Regeln, absolvierte Wirtschaftskunde und erlangte handwerkliche Fertigkeiten.

„In der Ausbildung lernt man selbstverständlich, mit Bagger und Säge umzugehen und wie man richtig pflastert.” Tatsächlich gehört auch das Fach Gestaltung zur Ausbildung, aber wie Dürer oder Van Gogh muss niemand zeichnen können. „Kreativität ist wichtig. Teil der Ausbildung und Abschlussprüfung ist, Pflanzenarrangements und Pflanzpläne zu erstellen”, sagt Münch. Welches Klima Pflanzen benötigen, wie sie sich im Laufe eines Jahres verändern und wie sie in Kombination mit dem Bauwerk wirken, gehört zum Fachwissen eines Gärtners, ein sogenannter Grüner Beruf. Sieben verschiedene Sparten gehören zur Berufsgruppe, wie die Dienstleistungsbereiche Garten- und Landschaftsbau oder Friedhofsgartenbau. Davon unterschieden wird der Produktionsgartenbau mit den Unterteilungen in Gemüse, Obst, Zierpflanze, Staude und Baumschule. „Für mich war klar, ich brauche Abwechslung und Vielfalt”, sagt Lennart Münch, und hat sich deshalb bewusst für Garten- und Landschaftsbau entschieden. „Das ist die Sparte, bei der man aktiv mitgestaltet und wo ich selbst auch etwas einbringen kann.” Übrigens auch eine Berufsperspektive für Frauen, den Willen vorausgesetzt, auch mal an die physischen Grenzen oder darüber hinaus zu gehen, meint Lennart Münch. „Mehr feminines Augenmaß auf unseren Baustellen wäre aus meiner Sicht wirklich erfrischend.” Sein jetziger Arbeitgeber Das Reservat, bei dem Lennart Münch nun schon mehrere Jahre Berufserfahrung erworben hat, wäre dafür auf jeden Fall offen. Auch was das Thema Ausbildung nach einem Studienabbruch betrifft.

Nach der Berufsausbildung stehen alle Türen offen

Ob eine Kita gebaut wird oder ein Spielplatz, ob ein Schulhof umgestaltet wird oder Privatkundschaft ihren Garten gestalten lässt – Lennart Münch wirkt entspannt und weiß, was zu tun ist. Baustellenstress scheint ihn jedenfalls nicht aus der Fassung zu bringen. Und sein Fachwissen gibt er auch schon weiter. Nach einer Meisterausbildung betreut er inzwischen selbst die nachfolgende Generation Azubis und bildet sie mit aus. Längst vergessen, dass er sein Studium an den Nagel gehängt hat. „Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und meinem praktischen Wissen stehen mir alle Türen offen”, sagt er, „auch nochmal ein Studium.”

Anderen rät er, sich selbst und seine Wünsche und Ziele regelmäßig zu hinterfragen und sich nicht in einem ungeliebten Studienfach zu quälen. „Schließlich dauert ein Arbeitsleben ziemlich lange. Und da ist es wichtig, eine Tätigkeit auszuüben, die man zumindest meistens gerne macht.” Zu lernen gibt es beim Garten- und Landschaftsbau jede Menge, das spornt Lennart Münch an. Demnächst steht ein Kurs in Seilklettertechnik an, ein Schritt hin zu Pflege, Kontrolle und Erhaltung von Bäumen. Irgendwann darf er dann in den Baumwipfeln weit oben nicht nur die Kettensäge ansetzen, um Bäume richtig zu beschneiden, sondern auch für einen kurzen Moment seine großartige Aussicht genießen: auf die Natur und auf seine persönlichen Perspektiven.

Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß

Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.