“Ganz ehrlich? Ich habe sieben Jahre lang studiert und bin regelmäßig kurz vor der Bachelorarbeit gescheitert.”
Hannes C. Daether ist von frappierender Offenheit, als er über seinen Studienabbruch spricht. “Das war im Kopf so: Jeder Schritt in Richtung Studienende wurde mühseliger. Je näher ich dem Ziel kam, desto schwerer fiel es mir, mich zu motivieren. Und dann leidet – salopp gesagt – auch die Laune.” Lehrer wollte er ursprünglich werden, Arbeitslehre und Sozialkunde waren seine Fächer. “Deutsch hätte ich auch gerne genommen, weil das eines meiner besten Fächer im Abitur war, hat aber nicht geklappt.”
Mit Arbeitslehre fühlt er sich auf dem richtigen Weg. Dort wird viel Praxiswissen vermittelt. Es ist das Fach, das Jugendliche auf eine spätere Berufsausbildung vorbereiten soll. Stress entfällt auch, da es nicht prüfungsrelevant ist. “Und man kann mit allen anderen Fachrichtungen zusammenarbeiten, wenn sich das anbietet.” Hannes C. Daether sieht viele Vorteile als Lehrer. Später im Beruf kämen noch relativ flexible Zeiteinteilung, kalkulierbare und großzügige Ferienzeiten und die Sicherheit des Beamtenstatus hinzu. Nichts spricht gegen diese Berufsentscheidung. Er hatte sich auch gut darauf vorbereitet
In seinem Abitur mit Berufsausbildung ist bereits eine Ausbildung zum IT-Elektroniker bei der Telekom integriert. Mit viel Praxisanteilen. “Ich fand das Berufsbild durchaus interessant. Die Ausbildung war interessant, aber das Arbeitsleben danach hat mich weniger gereizt.” Die Aussicht, ein Leben lang in einem T-Punkt zu arbeiten, hat er für sich ausgeschlossen. Um den Weg zum Lehrer vorzubereiten, absolviert Hannes C. Daether an einer Berliner Hauptschule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und schnuppert in die Arbeit mit Jugendlichen hinein. Vormittags ist er damit beschäftigt eine Schülervertretung aufzubauen, nachmittags engagiert er sich im Jugendclub in der Nähe der Schule. Und sowieso vermittelt er zwischen Schülern und Lehrern. Alles wirkt so, wie er sich die Arbeit an einer Schule vorstellt. “Ich war aber bei der Auswertung nicht ganz ehrlich zu mir und dachte, was jetzt gefehlt hat, lernt man noch beim Studium”, sagt der 30-Jährige heute. Sich in großen Gruppen durchsetzen zu können, war nicht so nötig. Aber sich vor halbwüchsigen Jugendlichen durchsetzen zu müssen, genau das begreift er in seinen Studienpraktika
“Die Unterrichtspraktika verliefen ernüchternd. Und ich hätte als Schüler die Unterrichtsentwürfe, die ich vorgelegt habe, auch nicht gut gefunden”, sagt Hannes Daether selbstkritisch.
“Dass es für mich nicht funktioniert, hatte ich schon begriffen, aber ich habe es nicht gleich umgesetzt.”
Stattdessen quält er sich noch manches Semester. “Immer in der Hoffnung, das wird schon irgendwie, das lernt man schon noch.”
Aber dann kommt ein Mentaltrainer ins Spiel, mit dem er besprechen will, wie er seine finale Bachelorarbeit abschließt. “Wir kamen schnell darauf, dass ich ein anderes Thema habe”, sagt Hannes C. Daether, den Mut zu finden, nach sieben Jahren einen Schlussstrich zu ziehen. Und dann geht alles ganz schnell und wie von selbst.
“Schon nach einer Woche ist bei mir der Groschen gefallen und ich musste nur noch loslaufen.”
Im Frühjahr 2016 lässt er sich exmatrikulieren, bewirbt sich auf einen Ausbildungsplatz als Industriekaufmann bei den Viessmann Werken Berlin GmbH. Es ist genau die Mischung an Fähigkeiten, die er aus seinem Fachabitur als IT-Elektroniker, aus seinen studentischen Jobs und privaten Vorlieben bereits mitbringt. “Es sind klassische Kaufmannstätigkeiten, und ein Mathegenie muss man nicht sein.” Aber ein Herz für Einkauf, Verkauf und Vertrieb haben, eine Affinität zu Produktionsabläufen und etwas Verständnis für das jeweilige Produkt entwickeln, denn als Industriekaufmann kann man vielfältige Aufgaben übernehmen. “Es klingt vielleicht etwas trocken, aber selbst Lagerpläne erstellen und Kreisläufe optimieren macht Spaß”, sagt Azubi Hannes C. Daether heute.
Seinen Schritt, das Studium abzubrechen, hat er nicht bereut.
“Bisher habe ich nur bereut, dass ich es nicht schon viel früher gemacht habe.”
Und die Ausbildung gibt ihm recht. Er wird gebraucht, hat schon eine mehrmonatige Assistenz bei einem Fertigungsleiter hinter sich, trainiert Kollegen im neuen Projektmanagementsystem oder bei IT-Anwendungen. Hannes C. Daether findet passende Lücken und Plätze, wo er mit seinen Erfahrungen und Interessen reinpasst. Den Weg in eine Ausbildung findet er für sich goldrichtig: “Was in der Berufsschule erlernt wird, kann ich zeitnah umsetzen und anwenden. Das ist beim Lehramtsstudium, so wie es organisiert ist, völlig undenkbar.” Auch wenn die Zeit natürlich nicht umsonst war und er von den dort erlernten Hard- und Softskills noch heute profitiert.
Den fachtheoretischen Teil seiner Berufsausbildung in Lernortkooperation absolviert Daether an der Leopold-Ullstein-Schule, OSZ Wirtschaft, in Wilmersdorf.
Rückblickend sagt er, Berufsberatung sollte schon während der Schulzeit intensiver eingesetzt werden, auch längere Praxiseinsätze, wo man als Schüler einem berufserfahrenen Mentor auf Schritt und Tritt folgt und mit ihm gemeinsam Aufgaben erfüllt. “Auch an der gesellschaftlichen Haltung, dass ein Studium mehr Wert sei als eine solide Ausbildung, sei unbedingt einiges zu überdenken”, sagt Hannes C. Daether. “Davon habe ich mich sehr, sehr lange auch blenden lassen.”
Heute schätzt er umso mehr das “Schnelle Scheitern”, das bei seinem Arbeitgeber Viessmann mittlerweile als Teil der Unternehmenskultur implementiert wird. Das wäre auch sein Rat an jene, die sich so wie er einst im Studium quälen.
“Einen Weg ausprobieren, bereit sein, Fehler zu erkennen und wenn etwas nicht funktioniert, dann abbrechen und die Erfahrungen für das Neue mitnehmen.”
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.