Im Rahmen der Veranstaltung „Afternoon Talk Studienabbruch: Einsamkeit und Studienabbruch – Eine unterschätzte Herausforderung für junge Menschen“ widmete sich Queraufstieg einem Thema, das in der Hochschulpolitik bislang wenig Beachtung findet, jedoch große Relevanz besitzt: Einsamkeit im Studium.
Die Online-Veranstaltung, zu der sich rund 100 Teilnehmende eingewählt hatten, eröffnete Vanessa Wenig (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Charité – Universitätsmedizin Berlin) mit einer Keynote, die verschiedenen Dimensionen von Einsamkeit beleuchtete. Sie unterschied zwischen vorübergehenden, chronischen und existentiellen Formen von Einsamkeit – mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen auf Gesundheit und akademisches Vorankommen. Besonders im Kontext der „Emerging Adulthood“ (Arnett) sind Studierende gefährdet: Die Übergangsphase zwischen Jugend und Erwachsenenalter ist geprägt von Identitätssuche, neuen Lebenswelten und Unsicherheiten, die zu einer tiefen Entfremdung führen können.
Aktuelle Zahlen verdeutlichen die Dimension des Problems: In einer Untersuchung mit 25.000 Studierenden gaben 33,8 Prozent an, sich einsam zu fühlen. Chronische Einsamkeit ist dabei nicht nur ein Risikofaktor für körperliche und psychische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Migräne oder Depressionen, sondern wirkt sich auch negativ auf den Studienerfolg aus – etwa durch Prokrastination oder den Verlust von Zugehörigkeitsgefühl zur Universität.
Ergebnisse der aktuellen Studie
In ihrer qualitativen Studie untersucht Wenig, wie sich Einsamkeit an Hochschulen entwickelt. Zentrale Faktoren sind:
- Beziehungen und Wohnsituation
- Gesundheitliche Einschränkungen
- Internationale Erfahrung (z. B. Auslandssemester)
- Überforderungsgefühle für Internationale Studierende
- Diskriminierungserfahrungen
Die Struktur der Hochschulen verstärkt diese Dynamik: große Vorlesungen, häufig wechselnde Seminargruppen, versetzte Zeitpläne und fehlende Orte für Begegnung. Hinzu kommt, dass Veranstaltungen zur sozialen Vernetzung fast ausschließlich zu Studienbeginn angeboten werden.
„Designed to perform, not to connect”
Aus den Interviews ging hervor, dass Hochschulen in erster Linie leistungsorientiert gestaltet sind. Orte für Begegnung fehlen, insbesondere für internationale Studierende, die oft kaum spezifische Unterstützung erfahren. Auch die fehlende Sichtbarkeit von Einsamkeit als Thema und intransparente Strukturen verstärken das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Im anschließenden Fachgespräch mit Nicole Kleeb (Project Manager, Bildung und Next Generation, Bertelsmann Stiftung) und Janine Laube (Studien- und Berufsberaterin, Jugendberufsagentur Brandenburg a. d. Havel) standen Beratungsangebote und praktische Erfahrungen im Mittelpunkt. Kleeb betonte, dass Einsamkeit häufig „versteckt“ bleibt und daher gezielt thematisiert werden muss. Vorurteile sollten hinterfragt und Beratungsangebote an Orten geschaffen werden, an denen Studierende sich wohlfühlen. Wichtig sei es, Räume aufzubauen, in denen soziale und emotionale Kompetenzen gestärkt werden können. Als ein Beispiel guter Praxis wurden auf die sogenannte „Nightlines“ hingewiesen – ein kostenfreies, anonymes Zuhörtelefon bzw. Chatfunktion von Studierenden für Studierende, die bei Problemen wie Prüfungsängsten oder Einsamkeit ein offenes Ohr bietet und auf Wunsch an professionelle Hilfen vermittelt. Solche niedrigschwelligen Angebote erreichen auch jene, die unter sozialer Angst leiden oder Hemmungen haben, Beratung direkt aufzusuchen. Laube berichtete aus ihrer Beratungstätigkeit, dass Einsamkeit häufig mit Selbstzweifeln und Überforderung verknüpft seien. Besonders internationale Studierende kämpfen, weit weg von Zuhause, mit sprachlichen und kulturellen Barrieren. Auch die Größe und Anonymität von Städten kann das Gefühl der Isolation verstärken.
Handlungsmöglichkeiten für Hochschulen
Diskutiert wurden verschiedene Ansätze, wie Einsamkeit im Studium präventiv begegnet werden kann:
- kleinere und kontinuierlichere Lehrformate,
- mehr Begegnungsräume auf dem Campus, auch informell und außerhalb der Lehre,
- sichtbare, niedrigschwellige Beratungsangebote,
- gezielte Informationsangebote für Erstsemester und internationale Studierende,
- Bewusstseinsbildung: Einsamkeit sollte als Thema offen benannt und enttabuisiert werden.
Die Diskussion machte deutlich: Studienabbrüche haben viele Ursachen, doch Einsamkeit ist ein entscheidender Faktor, der bisher zu wenig beachtet wird. Hochschulen können einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie soziale Strukturen stärken und Zugehörigkeit fördern – nicht nur zu Studienbeginn, sondern während der gesamten Studienzeit.